…oder wie ich von einem Ziegenkäse fast entführt wurde.
Es gibt Momente im Leben, in denen man sich fragt, wie alles derart aus dem Ruder laufen konnte. Mein Moment kam, als ich mich in einem kleinen Dorf mitten in Gävleborgs län wiederfand, im heftigen Disput mit einem Mann, der darauf bestand, mir einen Ziegenkäse zu verkaufen, den ich unter keinen Umständen haben wollte. Aber ich greife vor – lasst mich am Anfang beginnen.
Die Idee zu dieser Reise kam, wie alle schlechten Ideen, von meiner Frau. „Gävleborgs län“, sagte sie eines Morgens, während sie in einer Zeitschrift blätterte. „Wunderschön. Seen, Wälder, und sie haben diese berühmten Ziegenkäse!“
„Ziegenkäse?“, fragte ich mit dem scharfen Misstrauen eines Mannes, der von Haus aus jeden Käse außer Gouda für verdächtig hält. „Ist das wirklich ein Grund, da hinzufahren?“
„Natürlich!“, rief sie enthusiastisch. „Es wird eine kulturelle Erfahrung!“
Das war das entscheidende Wort. Wenn meine Frau „kulturelle Erfahrung“ sagt, weiß ich, dass ich die nächsten Tage mit einem schiefen Lächeln durch irgendwelche verregneten Landstriche stapfe, während sie Fotos von jeder Kuh, Kirche und Käseplatte macht. Aber aus Gründen, die ich mir heute nicht mehr erklären kann, stimmte ich zu.
Und so saßen wir wenige Tage später im Auto, auf dem Weg ins mystische Gävleborgs län. Zunächst schien alles harmlos genug: endlose Wälder, kleine Dörfer und eine unheimliche Anzahl von Schildern, die Ziegenkäse anpriesen. „Hier sind sie!“, jubelte meine Frau. „Der berühmte Gävleborg-Ziegenkäse!“
„Wunderbar“, murmelte ich und beschleunigte instinktiv das Auto, in der Hoffnung, wenigstens einer Käserei zu entkommen.
Doch meine Frau ließ sich nicht abschütteln. „Lass uns anhalten!“, rief sie plötzlich und zeigte auf einen kleinen, schiefen Hof, auf dem „Äkta Gävleborgs Ziegenost“ auf einem handgemalten Schild stand.
„Müssen wir wirklich?“, fragte ich, während mein Fuß wie von selbst aufs Bremspedal drückte. Ich hätte wissen müssen, dass dies der Anfang vom Ende war.
Wir parkten vor dem Haus, und meine Frau stürmte begeistert hinein, während ich widerwillig folgte. Der Hof sah aus, als wäre er seit 1735 unverändert geblieben. Ein großer, bärtiger Mann trat aus dem Nichts auf uns zu. „Ihr wollt Ziegenkäse?“, fragte er, als wäre es eine rhetorische Frage.
„Natürlich!“, strahlte meine Frau. „Wir sind extra aus Deutschland angereist, um ihn zu probieren!“
Ich wollte widersprechen, aber der bärtige Mann war schneller. „Kommt mit!“, sagte er und deutete auf eine Tür, die in eine Art Keller führte.
„Warum müssen wir in den Keller?“, flüsterte ich meiner Frau zu, doch sie ignorierte mich völlig, beseelt von der Vorstellung, in das Herz der schwedischen Käsekultur einzutauchen. Also folgte ich – gegen meinen besseren Instinkt.
Der Keller war düster, feucht und roch nach… na ja, nach Käse. „Hier reift er“, sagte der bärtige Mann und deutete auf mehrere Regale, auf denen beunruhigend große Laibe Ziegenkäse ruhten. „Jeder Käse hat eine Seele“, erklärte er ernst. „Manche sagen, sie flüstern nachts.“
„Ich glaube, meiner schreit gerade“, murmelte ich, doch niemand hörte zu.
Meine Frau war in Ekstase. „Oh, wie faszinierend!“, rief sie und begutachtete einen der Käselaibe, als hätte sie gerade die Mona Lisa entdeckt. „Wir nehmen einen!“
„Einen?“, fragte der Käsemann und schüttelte den Kopf. „Man kann nicht einen nehmen. Käse ist ein Paket. Ein Erlebnis.“
„Ein Erlebnis?“, fragte ich, nun vollends verwirrt.
„Ja“, sagte der Mann, „in Gävleborgs län kaufen wir den Käse nicht, wir erleben ihn.“ Dann schob er uns zwei riesige Laibe zu, die mindestens zehn Kilo wogen. „Das ist das Mindestmaß.“
„Mindestmaß?“, fragte ich, während ich den Laib balancierte, als hätte ich einen Zementblock in den Armen. „Wie sollen wir das essen?“
„Ihr seid doch in Gävleborgs län“, sagte der Mann mysteriös, als sei das die Antwort auf alle Fragen.
Meine Frau, die nun völlig verzaubert war, zahlte bereitwillig eine absurde Summe für den Käse. „Es ist eine Investition in die Kultur“, flüsterte sie, während ich mich bemühte, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Zurück im Auto lag der Ziegenkäse auf dem Rücksitz wie eine tickende Zeitbombe. Ich war mir sicher, dass er jederzeit explodieren könnte. „Was machen wir jetzt damit?“, fragte ich verzweifelt.
„Wir werden ihn genießen!“, sagte meine Frau enthusiastisch. Doch ich hatte da so meine Zweifel.
Am nächsten Tag, beim Frühstück, öffnete meine Frau stolz den ersten Laib. Der Duft, der aus dem Käse strömte, ließ die Fenster beschlagen. Es war eine Mischung aus nassem Hund, Waldmoos und einem Hauch von altem Turnschuh. „Oh, das ist stark!“, sagte sie anerkennend und schnitt ein Stück ab. „Probiere!“
Ich hatte keine Wahl. Ich biss hinein und spürte sofort, wie meine Geschmacksknospen in den Streik traten. Der Ziegenkäse aus Gävleborgs län war eine Erfahrung, das stimmte. Aber es war eine Erfahrung, auf die ich getrost hätte verzichten können.
„Wie ist es?“, fragte meine Frau neugierig.
„Es ist… einzigartig“, antwortete ich diplomatisch, während ich versuchte, den Geschmack mit Kaffee runterzuspülen.
Am Ende der Reise hatten wir noch immer drei Viertel des Käses übrig. „Wir können ihn mit nach Hause nehmen“, schlug meine Frau vor. „Er hält sich ewig.“
„Oder wir lassen ihn hier“, murmelte ich und schob den Laib demonstrativ zur Tür. Aber das war nicht das Ende. Beim Auschecken im kleinen Gasthaus fragte uns der Wirt: „Und, wie hat euch der Ziegenkäse aus Gävleborgs län gefallen?“
„Er war… unvergesslich“, sagte ich, was die absolute Wahrheit war.
Und so verließen wir Gävleborgs län, um viele Erfahrungen und mindestens 20 Kilo Ziegenkäse reicher. Der Käse? Den haben wir am Bahnhof „vergessen“. Aber ich bin mir sicher, er hat seinen Weg zu einem anderen ahnungslosen Touristen gefunden.