…und warum ich nie wieder einen Kompass benutzen werde.
Es gibt Orte auf dieser Welt, die sind so friedlich und idyllisch, dass man nie vermuten würde, dass dort eine Katastrophe lauern könnte. Västernorrlands län ist so ein Ort. Die weiten Wälder, die klaren Seen, die endlosen Pfade, die so einladend und unschuldig aussehen – bis du in ihnen verloren gehst. Aber das konnte ich ja nicht wissen, als ich mich entschied, an einem harmlosen Waldlauf teilzunehmen.
„Ein Trail-Lauf in Västernorrlands län“, sagte mein Freund Jens eines Tages, während er seine Sportausrüstung polierte, als sei er ein olympischer Athlet. „Das ist DIE Gelegenheit, mal etwas für die Fitness zu tun und gleichzeitig die Natur zu genießen.“
Jetzt muss man wissen, dass meine sportlichen Ambitionen meist darin bestehen, den Fernsehsender zu wechseln, wenn die Fernbedienung zu weit weg liegt. Aber Jens, der natürlich kein Erbarmen kennt, überredete mich. „Es ist nur ein kleiner Lauf, drei Stunden durch den Wald, ganz locker“, sagte er und klopfte mir dabei ermutigend auf die Schulter. „Außerdem gibt es einen Kompass.“
Nun, mit einem Kompass durch den Wald laufen, das klang ja nicht allzu schwierig. Drei Stunden, dachte ich, das wird schon. Västernorrlands län hat doch bestimmt freundliche, gut ausgeschilderte Wege und wahrscheinlich auch eine Gruppe von erfahrenen Läufern, denen ich einfach nur folgen müsste. Dachte ich.
Am Tag des Laufs standen wir also mitten im Wald von Västernorrlands län, umgeben von Natur pur. Der Startschuss fiel, und alle um mich herum begannen mit motiviertem Tempo loszulaufen. Ich beschloss, es etwas langsamer anzugehen – ich wollte ja die Umgebung genießen und nicht sofort aus der Puste geraten. Was ich nicht wusste: Dieses „genießen“ sollte mein Verhängnis werden.
Nach etwa einer halben Stunde merkte ich, dass ich keinen einzigen anderen Läufer mehr in meiner Nähe sehen konnte. „Kein Problem“, dachte ich. „Das bedeutet nur, dass ich mich wirklich auf die Natur konzentriere.“ Schließlich hatte ich ja den Kompass. Doch nach weiteren zwanzig Minuten dämmerte mir, dass das, was ich für einen „leichten Abstecher“ gehalten hatte, in Wirklichkeit eine kapitale Fehlentscheidung war.
Ich zog den Kompass aus der Tasche. „Norden“, murmelte ich und drehte mich in die entsprechende Richtung. „Das wird schon.“ Doch es schien, als würde der Kompass ein Eigenleben führen. Nach einer weiteren Stunde – und nach dem Umrunden desselben Baumes mindestens dreimal – gab ich auf.
„Okay, Jens, wo bist du?“, murmelte ich in den Wald hinein. Jens war natürlich nicht da. Stattdessen war ich umgeben von Tannen, Fichten und dem ewigen Zwitschern der Vögel, die vermutlich über mich lachten. „Hier steckst du also fest, du Amateur.“
Västernorrlands län zeigte sich von seiner schönsten Seite: unberührte Natur, kilometerweite Einsamkeit und ich, der hilflos durch das Unterholz stolperte. Ich begann, alle möglichen Szenarien durchzuspielen. Würden sie mich irgendwann vermissen und ein Rettungsteam schicken? Würde ich von einem Elch entdeckt werden und mit ihm Freundschaft schließen, bis die Rettung käme? Oder würde ich einfach hier bleiben, als moderner Robinson Crusoe, nur ohne die tropische Insel?
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich mich durch das Dickicht kämpfte, stieß ich plötzlich auf einen Wanderer. „Oh, Sie laufen wohl den Trail“, sagte er mit einem breiten Lächeln, als sei es das Normalste der Welt, einen völlig verschwitzten und verzweifelten Läufer im Nirgendwo zu treffen.
„Ja“, keuchte ich, „aber ich glaube, ich habe mich verlaufen.“
„Kein Problem“, sagte der Wanderer fröhlich. „Sie sind nur etwa 20 Kilometer von der eigentlichen Route entfernt.“
„Z… zwanzig Kilometer?!“ Mir wurde schlagartig klar, dass mein Kompass mich in den tiefsten Teil von Västernorrlands län geführt hatte, vermutlich auf eine Abkürzung in eine andere Dimension.
Der freundliche Wanderer führte mich schließlich zurück auf den richtigen Weg – natürlich nicht ohne ein paar spöttische Kommentare darüber, wie wichtig es sei, den Kompass auch richtig zu lesen. Als wir nach einer weiteren Stunde den Zielbereich erreichten, standen Jens und die anderen Läufer schon dort, frisch geduscht und mit Medaillen um den Hals. „Wo warst du?“, fragte Jens mit unschuldigem Grinsen.
„In einem Paralleluniversum von Västernorrlands län“, antwortete ich trocken und schwor mir, dass ich nie wieder einen Fuß in einen Wald setzen würde – zumindest nicht ohne ein GPS und eine Wanderkarte für Grundschulkinder.
Västernorrlands län – ein wunderschöner Ort. Aber lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben: Wenn Sie dort einen Kompass benutzen, stellen Sie sicher, dass er nicht auf „Abenteuer“ eingestellt ist.