…oder wie ich in Värmlands län fast den Verstand verlor.
Es war eine jener scheinbar harmlosen Entscheidungen, die später dazu führen, dass man seine Urlaubsfotos nicht mehr ohne tiefes Seufzen betrachten kann. „Lass uns doch nach Värmlands län fahren!“, hatte meine Frau Susanne vorgeschlagen, während sie mit einem Glas Saft in der Hand über einen Reiseführer gebeugt saß. „Da gibt es so viel Natur, Seen und vor allem: Elche!“
„Elche?“, fragte ich skeptisch und erinnerte mich an meine Erfahrung mit Wildtieren – oder besser gesagt, die völlige Abwesenheit jeglicher solcher Erfahrungen.
„Ja, Elche! Das wird super!“, antwortete Susanne und strahlte mich an, als hätte sie gerade die Lösung für alle Probleme der Welt entdeckt.
Und so fanden wir uns wenig später in einem gemieteten Wohnmobil wieder, mit dem wir Richtung Värmlands län tuckerten, während ich innerlich schon ahnte, dass das mit den Elchen nicht so einfach werden würde. Aber Susanne war voller Enthusiasmus. „Die laufen hier einfach überall herum!“, behauptete sie, als wir durch endlose Wälder fuhren, ohne auch nur das kleinste Geweih zu sehen.
Am zweiten Tag unseres Elchabenteuers erreichten wir schließlich den berühmten Elchpark von Värmlands län. „Jetzt wirst du sie sehen“, verkündete Susanne triumphierend. „Ich hab gelesen, die kommen ganz nah ans Auto!“
„Vielleicht wollen sie auch nur Autogramme geben“, murmelte ich, während wir die schmale Straße entlangfuhren, die uns angeblich mitten ins Elchparadies führen sollte. Aber statt eines majestätischen Elchs sahen wir… nichts. Gar nichts. Kilometerweit nur Bäume und Sträucher. „Das ist bestimmt wie bei den Sternschnuppen – du musst Geduld haben“, versuchte Susanne, die Lage zu retten, während ich mich fragte, wie viel Geduld ich für ein paar übergroße Hirsche wirklich aufbringen konnte.
Und dann – wie aus dem Nichts – sprang er auf die Straße! Ein Elch! Ein echter Elch! Er stand mitten auf der Fahrbahn, sah uns an wie ein Museumsbesucher, der die schlechte Beleuchtung im Ausstellungssaal bemängelte. Ich bremste so abrupt, dass wir beide fast gegen die Windschutzscheibe katapultiert wurden.
„Da ist er!“, kreischte Susanne und zückte ihre Kamera. „Mach ein Foto!“
Doch der Elch dachte offenbar nicht daran, in irgendeiner Weise kooperativ zu sein. Stattdessen stand er einfach da, regungslos, als wolle er uns mitteilen: „Ihr seid hier die Eindringlinge, nicht ich.“
„Was soll ich jetzt machen?“, fragte ich, während ich versuchte, mit dem Blick des Elchs eine Art Übereinkunft auszuhandeln.
„Hupen?“, schlug Susanne vor.
„Du willst, dass ich einen Elch anhupe?“, fragte ich ungläubig.
„Warum nicht? Vielleicht bewegt er sich ja.“
Also hupte ich – ganz vorsichtig, versteht sich. Doch der Elch schien das eher amüsant zu finden. Er sah uns weiterhin an, als könne er sich nicht entscheiden, ob wir einen Besuch wert waren oder nicht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit drehte er sich schließlich um und trottete langsam, gemächlich – viel zu gemächlich – in den Wald zurück. „Na also“, sagte ich und atmete erleichtert auf. Doch Susanne war völlig unzufrieden. „Ich habe das Foto verpasst! Er war zu schnell!“
Zu schnell? Der Elch hatte sich bewegt, als hätte er gerade eine Yoga-Session hinter sich.
Nach dieser Begegnung beschlossen wir, den Elchpark hinter uns zu lassen und unser Glück in der freien Wildbahn von Värmlands län zu suchen. Vielleicht würden wir ja auf eigene Faust mehr Elche finden, dachte ich – was natürlich völliger Unsinn war, aber Susanne ließ sich nicht entmutigen.
Wir fuhren weiter durch die Wälder, vorbei an unzähligen Seen, die alle wunderbar idyllisch aussahen – jedenfalls solange, bis man bemerkte, dass ein Wohnmobil nicht besonders gut für schmale Waldwege geeignet ist. Ich schwitzte inzwischen so sehr, dass ich den Sitzbezug wohl nie wieder trocken bekommen würde.
„Da vorne!“, rief Susanne plötzlich und zeigte aus dem Fenster. Tatsächlich, dort am Seeufer stand eine Gruppe Elche, friedlich grasend. „Fahr näher ran!“, forderte sie, als sei ich der Chauffeur eines Safari-Jeeps.
„Das ist eine Sackgasse“, sagte ich und deutete auf den Wegweiser. „Wir kommen hier nicht durch.“
„Ach was“, winkte sie ab. „Die Schweden sind freundlich. Die werden uns schon helfen, wenn wir feststecken.“
Das war das Stichwort. Keine zwanzig Minuten später steckten wir tatsächlich fest. Der Weg war schmaler geworden, und das Wohnmobil steckte mit den Rädern tief im Matsch. Die Elche? Die waren natürlich längst über alle Berge. Stattdessen saß ich nun da, mitten in Värmlands län, mit einem festgefahrenen Wohnmobil und einer Frau, die plötzlich meinte, dies sei „absolut romantisch“.
„Romantisch?“, fragte ich fassungslos und deutete auf das verschlammte Fahrzeug, das sich keinen Millimeter mehr bewegte.
„Ja, so mitten in der Natur!“, antwortete sie und grinste.
Ich seufzte tief. Värmlands län – das Land der Elche, der unberührten Natur und der hoffnungslosen Wohnmobilfahrer.
Als wir schließlich nach Stunden von einem freundlichen schwedischen Förster befreit wurden, beschloss ich still und heimlich, unseren nächsten Urlaub in einem Hotel zu verbringen. Einem mit festen Wänden, einem richtigen Bett und vor allem ohne Elche.