Die unheilige Allianz mit den Straßenmusikern
Weiter geht es, zwischen kunterbunten Häuserfassaden und duftenden Backstuben, die Zimtschnecken in absurden Mengen aus dem Ofen schieben. Gerade, als du dich vom Zimtduft betören lässt, hörst du eine schräg scheppernde Gitarrenmelodie. Ein Trio Straßenmusiker mit Punkfrisuren kreuzt euren Weg und legt ein Ständchen hin, das selbst dem ausgebranntesten Verstärker Ehre machen würde. Oskar hält stolz sein Mikrofon in die Höhe, um eine Art musikalisches Duett zu starten. Du spürst förmlich, wie das Desaster Gestalt annimmt.
Ehe du es dich versiehst, tanzen die anderen Touristen im Takt des Gitarrengejammers, während Oskar mit seinem Schluckauf die selbsternannte Percussion-Einlage liefert. Die Stockholmer Altstadtführung droht zu einem Straßenfest zu mutieren. Vielleicht ist das aber gar nicht so übel – zumindest hörst du einen älteren Herrn in der Gruppe murmeln: „Herrlich, so habe ich mir Schweden vorgestellt!“ Du beschließt, das Ganze mit einem Lächeln hinzunehmen und klatschst brav im Takt, während dein Reiseführer die Schanze in rhythmischen Schluckauf-Hüpfbewegungen nimmt.
Das abrupt verschwindende Königsschloss
Einige Gassen weiter, die du inzwischen genauso gut auswendig kennst wie deine Schuhsohlen, erscheint am Horizont das Königliche Schloss. Du hast es dir größer vorgestellt, doch immerhin: ein echtes Schloss! Voller Vorfreude fragst du dich, ob du nun endlich etwas Ernsthaftes über die Geschichte erfährst. Doch noch bevor Oskar mit seiner Erklärung beginnen kann, fegt ein plötzlicher Windstoß durch die Gasse und zerrt an seiner Broschüre. Dieser Sturm wirbelt Staub auf, die Touristen schnauben irritiert, und du musst dir die Haare aus dem Gesicht wischen. Als du wieder hochschaust, ist das Schloss verschwunden – oder eher, du siehst nur noch einen Teil davon, weil eine überdimensionierte Regenplane auf der Fassade angebracht ist.
„Äh … wie unschön“, murmelt Oskar und versucht zwischen zwei Schluckaufs einen Satz zu formen: „Hier, sehr altes Bauwerk, bekannt für … Schluck … Renovierungen.“ Die Gruppe um dich herum reckt die Hälse, versucht einen Blick auf die königlichen Mauern zu erhaschen und begreift allmählich, dass man an dieser Stelle wohl ein imposantes Panorama erwartet hatte. Stattdessen habt ihr eine perfekt getarnte Baustelle. Während du überlegst, ob du die Eintrittskarte verlangen sollst, die du nie gekauft hast, stiert Oskar auf seinen Stadtplan, als wäre er selber zum ersten Mal hier.
Auch das gehört offenbar zur Stockholm-Altstadtführung: Überraschungsrenovierungen, die spontan jeden historischen Charme unter Planen verschwinden lassen.
Eine unvergessliche Fika voller Hindernisse
Irgendwann sehnst du dich nach einer Pause von diesem wilden Spektakel. Wie praktisch, dass Oskar euch schließlich zur „Fika“ – der berühmten schwedischen Kaffeepause – einlädt. Ihr versammelt euch in einer schnuckeligen Bäckerei, in der die Tische so klein sind, dass du nur schief sitzen kannst, um die Tasse überhaupt halten zu können. Kaum hast du Platz genommen, stolpert Oskar wieder über seinen eigenen Schluckauf und kippt prompt die Milchkanne um. Einige Touristen schreien auf, als sei ein Elch durchs Fenster gesprungen. Es fehlt nicht viel, und jemand hätte wahrscheinlich die Feuerwehr gerufen.
Trotzdem genießt du den Moment: Der Kaffee dampft, du beißt in eine fluffige Zimtschnecke, und für ein paar magische Sekunden liegt Stille in der Luft. Nur Oskars leises „Schluck … Schluck“ erinnert daran, dass dieser Tag unter einem ganz besonderen Stern steht. In deinem Kopf resümierst du bereits: So etwas wie diese Stockholm-Altstadtführung hast du definitiv noch nicht erlebt. Dabei hättest du es dir zu Beginn nur halb so spektakulär ausgemalt.
Der finale Kreis des Chaos
Zum großen Abschluss geleitet Oskar euch an einen Platz, der von alten Renaissancehäusern umrahmt ist. Er möchte eine flammende Rede halten, doch der Schluckauf hat ihn offenbar so fest im Griff, dass von „Willkommen in der Altstadt – der Perle von Stockholm!“ nur ein Rattern aus Luft und Lauten übrigbleibt. Während die Hälfte der Gruppe staunend in die Fenster schaut, rollt an anderer Stelle ein Straßenhändler seinen Wurststand durch das Ensemble, hupt laut und ruft: „Macht Platz für die echte schwedische Delikatesse!“
Du stehst da und fragst dich, wie du diese Situation irgendjemandem zu Hause erklären sollst, ohne dass man dich für verrückt hält. Die auffälligen Farbkontraste, die Musikeinlagen, die unvorhersehbaren Tanzeinlagen des Schluckauf-Orchesters und ein Reiseführer, der mittlerweile vor lauter Anstrengung knallrote Ohren hat – all das prasselt auf dich ein wie eine Groteske, die nur in einem Theaterstück existieren dürfte. Aber das hier ist dein Leben, dein Ausflug, deine Stockholm-Altstadtführung.
Und während du feststellst, dass du niemals so viele Fotos machen kannst, um diesen Irrsinn komplett einzufangen, kommt von Oskar ein letzter, gewaltiger Schluckauf, der das Mikrofon fast durch die Luft katapultiert. Die Zuschauer applaudieren begeistert, als hätte er gerade einen hochkarätigen Kunstakt vorgeführt. Irgendwo bellt ein Hund, die Glocken einer Kirche läuten – und du entscheidest, dass das Chaos für dich komplett ist.
Du atmest tief durch, und mit einem kleinen, ungläubigen Grinsen auf den Lippen beschließt du, diesen Tag nicht zu vergessen. Wenn du künftig an eine gediegene Stadtführung denkst, wirst du laut loslachen und an Oskars Schluckauf, die Gassen-Karaoke und die verschwundene Schlossfassade zurückdenken. Sollte jemals jemand behaupten, eine Stockholm-Altstadtführung könne langweilig sein, hast du die perfekte Gegenrede parat – denn was du erlebt hast, ist an Skurrilität kaum zu überbieten.