Die Tücken der Tarnkleidung
Da du von Natur aus hartnäckig bist, beschließt du, dich bestens zu tarnen. Du hast ein ghillieartiges Kostüm aus trockenem Schilf, Moos und ein paar willkürlich gepflückten Blättern gebastelt. Das Ganze raschelt bei jeder Bewegung wie eine Dampflokomotive auf rostigen Gleisen. Kaum hast du dich in dieses Gewirr hineingezwängt, begegnet dir ein älterer Herr mit Hund, der irritiert innehält. Er mustert dein Geraschel und fragt höflich: „Steht ein neuer Horrorfilm-Dreh an, oder brauchst du Hilfe?“ Bevor du antworten kannst, haut der Hund bellend ab. Dir wird klar, dass du mit deiner Verkleidung vielleicht eher Zombies erschreckst, als dass du Vögel entdeckst. Doch du bist nun mal voll und ganz dem Thema Vogelbeobachtung in Südschweden verfallen, also ziehst du’s tapfer durch.
Entführtes Fernglas, verschreckte Enten
Du müsstest bei deiner Tarnung eigentlich mucksmäuschenstill sein, aber allein das Balancieren mit dem übergroßen Fernglas führt dazu, dass du alle paar Sekunden mit lautem Krachen in irgendein Gebüsch kippst. Als du wieder hoch willst, blitzt etwas Weißes an deinem Gesicht vorbei – ein Schwan! Perfekt, denkst du dir, endlich etwas Wunderschönes zum Beobachten. Du zoomst mit zitternden Fingern auf den edlen Vogel heran, nur um festzustellen, dass er genau in diesem Moment wütend auf dich zuschwimmt. Offenbar fühlt er sich von deiner Moosverkleidung belästigt. In Sekundenschnelle schnappt er mit seinem Schnabel nach dem Riemen deines Fernglases und schwimmt damit davon, als wäre es der Juwelenschatz des Schilfmeeres.
Verzweifelt zappst du im Uferbereich umher, stößt ein paar verschreckte Enten auf, die wild zu quaken beginnen und prompt losflattern. Für einen Wimpernschlag kommt dir der Gedanke, dass du jetzt ausgerechnet dann Vögel in Aktion siehst, wenn du nicht einmal dein Equipment hast, um sie genauer zu betrachten. Ironie des Schicksals, wie sie nur hier, bei der Vogelbeobachtung in Südschweden, auftritt.
Der Gesang der überheblichen Experten
Nachdem du deinen ganzen Mut zusammengekratzt hast, wagst du dich doch noch in ein weiteres Feuchtgebiet. Dort stolperst du direkt in ein Treffen überenthusiastischer Ornithologen, die ihre Teleobjektive wie Trophäen aufstellen. Sie schauen dich mitleidig an, so als hätten sie sofort durchschaut, dass du mehr Glück mit einer Gabel Entengrütze als mit echten Vögeln haben wirst. Einer von ihnen, mit Safarihut und Weste voller Taschen (die wahrscheinlich allesamt dem Transport winziger Kaffeekännchen dienen), beginnt, dir einen unaufgeforderten Vortrag über Kanadagänse zu halten. Sobald du nachfragst, ob er vielleicht weiß, wo man seltene Spechte sichten kann, schüttelt er nur den Kopf und murmelt irgendetwas von „Amateuren“.
Du versuchst, höflich zu bleiben. Doch als dieser ehrwürdige Ornithologe dich dann korrigiert, weil du eine Vogelart „grauer Federtuff“ nennst – was natürlich völlig falsch ist – reicht es dir. Du möchtest auf der Stelle im Boden versinken. Stattdessen stehst du da wie eine rumplige Vogelscheuche, während die sogenannten Profis dich mit fachmännischen Begriffen bombardieren, bis du kaum noch weißt, wo oben und unten ist.
Völlige Kapitulation im Sonnenuntergang
Irgendwann setzt die Dämmerung ein, und du merkst, wie deine Energie verpufft. Du hast keine Ahnung, wo dein Fernglas ist, dein Tarnkostüm hängt nur noch in Fetzen an dir, und das Eichhörnchen scheint dir immer noch nachtragend zu sein. Langsam schlurfst du zum Auto zurück, abwechselnd durch Schlamm und verfilzte Grasbüschel stapfend. Dabei entdeckst du im Augenwinkel plötzlich eine kleine Schar Vögel, die sich ohne den Hauch eines Geräuschs über das Schilf bewegt. Sind das womöglich die lang ersehnten Kraniche? Deine Neugier ist geweckt. Du bleibst stehen, prüfst verzweifelt die Hosentaschen nach irgendeiner funktionierenden Kamera und – Fehlanzeige. Nichts als feuchtes Moos und eine halbe Lakritzschnecke.
Du beobachtest diese anmutigen Silhouetten über dir am Himmel und kannst nur noch staunen. Mit jedem Flügelschlag entschwindet die Formation weiter in Richtung Sonnenuntergang, als hätten sie dich angelockt, um dir vorzuführen, was du trotz aller Bemühungen doch verpasst. Und genau in diesem Moment stichst du dir einen letzten Splitter vom gebrochenen Fernglasriemen in den Finger.
Die letzte Erkenntnis
Auf der Heimfahrt denkst du erschöpft über den Tag nach. Deine Idee von Vogelbeobachtung in Südschweden war zweifellos weniger glamourös, als du es dir bei Sonnenaufgang noch ausgemalt hast. Statt seltener Orpheusspötter hast du schwimmende Fernglas-Diebe getroffen, ein verärgertes Eichhörnchen, das dich verachtet, und Ornithologen, die dir eine Lektion in Demut erteilt haben. Du grinst zynisch in dich hinein: Vielleicht liegt die Schönheit dieses Abenteuers gerade darin, dass du dich noch nie so bekloppt und gleichzeitig so lebendig gefühlt hast.
Während dein Auto über die schmalen Landstraßen ruckelt, tauchen im Rückspiegel die letzten orangegoldenen Streifen des skandinavischen Sonnenuntergangs auf. Du nimmst dir vor, irgendwann zurückzukehren und deine Vogelbeobachtung in Südschweden mit etwas mehr Würde zu betreiben – vielleicht mit einem besseren Fernglas und weniger Tarnschilf. Aber tief im Inneren weißt du, dass kein weiterer Versuch dich so sehr zum Lachen bringen wird wie dieser Tag. Und allein dafür hat sich jede schmutzige Pfütze und jeder verirrte Vogelbuch-Ratschlag gelohnt.